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Wenn innere Ansprüche dich überfordern – und wie du wieder bei dir ankommst

  • Monia von Burg
  • 1. Apr.
  • 4 Min. Lesezeit
Balance

Du möchtest allem gerecht werden – im Beruf, in der Familie, in Beziehungen. Und während du sorgst, organisierst, mitdenkst, entsteht leise ein innerer Anspruch: Es soll gut werden. Möglichst für alle.


Doch genau dieser Anspruch kann zu viel werden – besonders, wenn du dich selbst dabei vergisst.


Viele Frauen erleben diesen Druck besonders stark: Sie tragen vieles gleichzeitig – und möchten allem mit Fürsorge begegnen. Doch wenn daraus ein stilles Muss wird, kostet das Kraft – und manchmal die Verbindung zu sich selbst.


In diesem Artikel erfährst du, warum bestimmte innere Antreiber dich aus dem Gleichgewicht bringen – und wie du mit kleinen Schritten, neuen Prioritäten und Selbstfreundlichkeit wieder Raum für dich selbst findest.



Wie der Wunsch nach Harmonie zur stillen Überforderung wird

Psychologisch betrachtet unterscheiden wir zwischen:

  • einem gesunden Wunsch nach Sorgfalt

  • und einem überhöhten inneren Anspruch, alles richtig machen zu müssen


Letzterer wirkt oft unbewusst, aber nachhaltig. Besonders dann, wenn der eigene Selbstwert daran geknüpft ist. Studien zeigen, dass dieser innere Druck mit Erschöpfung, Schlafstörungen und erhöhter Stressanfälligkeit einhergehen kann (Hill & Curran, 2016; Suh et al., 2019).


Dieser Anspruch entsteht nicht aus Überheblichkeit oder überzogenen Idealen – sondern oft aus Fürsorge, Verantwortungsgefühl und dem Wunsch, niemanden zu enttäuschen.


Warum der Wunsch, niemanden zu enttäuschen, so tief sitzt


Ein Blick auf Bindung, Rollenbilder und die Psychologie hinter deinem inneren Druck.

Dieser Wunsch ist selten oberflächlich. Oft wurzelt er tief – in der Art, wie wir Bindung erleben, wie wir sozialisiert wurden, und wie wir unseren Wert empfinden.

  • Bindung & Zugehörigkeit:

    Aus Sicht der Bindungspsychologie ist das Bedürfnis, niemanden zu enttäuschen, eng mit unserer Sehnsucht nach Verbundenheit verknüpft.


    Studien zeigen: Soziale Zurückweisung aktiviert im Gehirn ähnliche Areale wie körperlicher Schmerz (Eisenberger et al., 2003). Kein Wunder also, dass wir uns besonders anstrengen, um Beziehungen stabil zu halten.

  • Sozialisierte Rollenbilder:


    Viele Frauen lernen schon früh, Rücksicht zu nehmen, zu vermitteln, sich zu kümmern – oft verknüpft mit einem positiven Selbstbild.


    Der Satz „Ich darf niemanden enttäuschen“ wird so unbewusst zu einem inneren Leitsatz – als Schutz, aber auch als Anspruch (Gilligan, 1982).

  • Anerkennung & Selbstwert:


    Wenn wir Anerkennung vor allem über Leistung oder Anpassung erhalten haben, kann sich der eigene Wert an das Gefühl knüpfen, „richtig“ sein zu müssen. Fehler, Grenzen oder Bedürfnisse fühlen sich dann schnell wie Versagen an (Flett et al., 2002).


All das erklärt, warum der Druck oft so leise und gleichzeitig so hartnäckig wirkt – und warum es uns schwerfällt, ihn einfach „loszulassen“.

 

Was Balance wirklich bedeutet – und warum Gleichverteilung nicht die Lösung ist


In vielen Gesprächen – und auch in der Forschung – zeigt sich:

Gerade Frauen in Mehrfachrollen erleben Überforderung, wenn sie das Gefühl haben, überall gleich präsent und kompetent sein zu müssen.


Doch Balance heisst nicht, alles gleich zu verteilen. Balance entsteht, wenn du weisst, was dir wichtig ist – und was gerade Priorität hat.


Es geht nicht darum, jede deiner Rollen perfekt zu erfüllen. Sondern darum, in Verbindung mit dir zu bleiben, während du sie trägst.


Das kann bedeuten:


🌿 An einem Tag mehr Raum für den Beruf.

🌿 Am nächsten mehr Präsenz in der Familie.

🌿 Und immer wieder: bewusste Pausen für dich.


Balance ist kein statisches Ziel.


Sie ist ein lebendiger Rhythmus – der sich verändern darf. Und der sich leichter trägt, wenn du ihn aus dir heraus findest – nicht aus Erwartungen heraus.


Was dich stärkt: Selbstfreundlichkeit & Prioritäten

Was dich aus dem Gleichgewicht bringt

Studien zum Thema Selbstmitgefühl – vor allem die Forschung von Kristin Neff (2003) zeigen:

Wenn wir freundlicher mit uns selbst umgehen, verändert sich mehr, als wir denken.


🌿 Der innere Druck nimmt ab.

🌿 Das Stresslevel sinkt.

🌿 Emotionale Stabilität wächst.

🌿 Wir können Prioritäten setzen – ohne schlechtes Gewissen.


Selbstfreundlichkeit ist dabei keine Selbstoptimierungs-Strategie. Sondern eine innere Haltung, die dich stärkt – gerade dann, wenn du dich zwischen den Rollen verlierst.


Sie schafft den Raum, innezuhalten. Und dich zu fragen: Was ist heute gut genug? Was brauche ich – gerade jetzt – wirklich?


Selbstfreundlichkeit greifbar: Was sie bedeutet – und wie du sie lernst


Selbstfreundlichkeit ist mehr als ein guter Vorsatz. Sie ist eine innere Haltung – erforscht unter dem Begriff Self-Compassion – die dich nicht nur stärkt, sondern auch regulierend auf dein Nervensystem wirkt.


Psychologin Kristin Neff (2003) beschreibt drei zentrale Elemente dieser Haltung:

  1. Achtsames Wahrnehmen: Du nimmst wahr, wenn etwas schwierig ist – ohne es zu übergehen oder dich dafür zu verurteilen. (z. B. „Ich merke, dass mich das gerade überfordert.“)

  2. Gemeinsames Menschsein: Du erinnerst dich daran, dass du nicht allein bist mit dem, was du fühlst. (z. B. „Viele fühlen sich so. Das ist menschlich.“)

  3. Innere Freundlichkeit: Du gehst mit dir um wie mit einer guten Freundin – liebevoll, realistisch, ohne inneren Druck. (z. B. „Ich gebe mein Bestes. Das reicht heute.“)

Diese Haltung wirkt leise – aber tief. Sie lässt sich nicht von heute auf morgen „einführen“, aber sie lässt sich lernen.


Mit kleinen Erinnerungen, bewussten Momenten – und mit der Erlaubnis, gut mit dir zu sein.



Mini Übung
Ein kurzer Selbst-Check-In: Nimm dir 2–3 Minuten – vielleicht mit einer Tasse Tee oder nach einem tiefen Atemzug. Schreib dir ehrlich auf:

 

Zum Mitnehmen für dich

Du musst nichts beweisen.

Nicht perfekt sein. Nicht alles gleichzeitig lösen.


Blumen

Du darfst atmen, statt leisten.

Spüren, statt funktionieren.

 Du darfst dein Tempo wählen.

Und dich daran erinnern, dass du genug bist.


Du darfst Raum schaffen.

Für dich. Für deine Energie. Für das, was dir entspricht – nicht nur, was erwartet wird.

Denn Balance ist kein Zustand, den man erreichen muss.

Sondern ein Rhythmus, den du immer wieder neu mit dir finden darfst.



 

Quellen

  • Eisenberger, N. I., Lieberman, M. D., & Williams, K. D. (2003). Does rejection hurt? An fMRI study of social exclusion. Science, 302(5643), 290–292. https://doi.org/10.1126/science.1089134

  • Flett, G. L., Hewitt, P. L., Blankstein, K. R., & Mosher, S. W. (2002). Perfectionism, distress, and mechanisms of coping. In G. L. Flett & P. L. Hewitt (Eds.), Perfectionism: Theory, research, and treatment (pp. 283–307). American Psychological Association. https://doi.org/10.1037/10458-012

  • Gilligan, C. (1982). In a different voice: Psychological theory and women’s development. Harvard University Press.

  • Hill, A. P., & Curran, T. (2016). Multidimensional perfectionism and burnout: A meta-analysis. Personality and Social Psychology Review, 20(3), 269–288. https://doi.org/10.1177/1088868315596286

  • Neff, K. D. (2003). Self-compassion: An alternative conceptualization of a healthy attitude toward oneself. Self and Identity, 2(2), 85–101. https://doi.org/10.1080/15298860309032

  • Suh, H., Sohn, H., Kim, T., & Lee, D. G. (2019). A review and meta-analysis of perfectionism and sleep quality. Journal of Counseling Psychology, 66(1), 107–120. https://doi.org/10.1037/cou0000312

     

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